Helmut Gruber über seine Studenten: "Ich weiß, ich kann sie nicht halten."

Foto: derStandard.at/Marietta Türk

Michael Pretterklieber wird interimistisch ab Oktober für die prä- und postgraduale Lehre am Anatomieinstitut zuständig sein und vorübergehend auch den Zuständigkeitsbereich für die Körperspenden übernehmen

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Helmut Gruber ist seit 43 Jahren Anatom, das Zentrum für Anatomie und Zellbiologie in der Währingerstraße in Wien hat er 1963 als Student zum ersten Mal betreten. Mit Anfang Oktober geht er als Ärztlicher Leiter des Hauses in Pension. Ruhe wird er dennoch nicht geben.

derStandard.at: Was hat Sie dazu bewogen ausgerechnet Anatom zu werden?

Gruber: Ich fand die Arbeit mit den toten Körpern schon als Student spannend und interessant und hatte tolle Lehrer, die mir ihre Begeisterung mitgegeben haben. Dann habe ich es verpasst in die klinische Ausbildung zu gehen und meine Entscheidung war gefallen.

derStandard.at: Gibt es Nachwuchssorgen bei den Anatomen?

Gruber: Es wird immer schwieriger die Studenten an der Anatomie zu halten. Während des Studiums unterrichten sie zwar gerne am anatomischen Institut, denn in jeder Facharztausbildung können sie dieses Wissen gut gebrauchen. Sie werden gute klinische Ärzte. Die wenigsten können sich aber vorstellen bis an ihr Lebensende anatomischer Forscher und Lehrender zu sein. Auch die Bezahlung ist ein Problem: die Verdienstmöglichkeiten im nicht-klinischen Bereich sind schändlich. Ich weiß, ich kann sie nicht halten.

derStandard.at: Sie gehen mit Anfang Oktober als Ärztlicher Leiter in Pension. Gibt es schon einen Nachfolger?

Gruber: Nein, bis jetzt gibt es noch keinen Vorschlag. Das ist schade, weil ich ihm gerne noch selbst die Hand geschüttelt hätte. Früher gab es drei bis vier Anatomieprofessoren im Haus, die sich mehrere Bereiche untereinander aufgeteilt haben. Nach mir wird es keine Professorenstelle mehr geben.

derStandard.at: Wie wahren Sie einen gewissen persönlichen Abstand zum toten Körper?

Gruber: Man fängt als Student mit den Sezierkursen an und wächst in die Materie hinein. Aber die Haltung zum toten Körper verändert sich nicht. Ich sehe die Arbeit damit nicht nur mechanisch und bezeichne mich keineswegs als abgebrüht.

derStandard.at: Ist der Geruch der präparierten Leichen Ihr ständiger Begleiter?

Gruber: Ja, den nimmt man mit nachhause. Das Phenol, das zur Konservierung verwendet wird, hat man in den Haaren und in den Schweißdrüsen. Ich empfinde aber keine Gräuel oder Abscheu. Mir blieb nichts anderes übrig als mich an den Geruch zu gewöhnen. 

derStandard.at: Als Ärztlicher Leiter sind Sie nicht nur Anatom. Welche Aufgabe haben Sie?

Gruber: Neben Lehre und Forschung führe ich einen Mitarbeiterstab von bis zu 140 Personen. Das ist nicht immer einfach, aber ich versuche mein Bestes. Dazu gehört natürlich auch ein gewisser administrativer Aufwand.

derStandard.at: Was ist Ihr Steckenpferd in der Forschung?

Gruber: Mein Hauptthema ist die Muskelforschung, Muskel- und Stoffwechselerkrankungen. Ich habe als Erster beschrieben, dass es nicht eine lange Muskelfaser gibt sondern sich eine Muskelfaser an die andere anhängt. Das ist besonders bei Muskeln der Fall, die die Augen bewegen.
Ich habe außerdem eine Methode entwickelt, mit der man bei Nervenverletzungen mit Hilfe von Verfärbungen zwischen Haut- und Muskelfasern differenzieren kann.

derStandard.at: Was werden Sie in Ihrer Pension machen?

Gruber: Ich habe nicht vor auf der Parkbank zu sitzen. Künftig bin ich zwar nicht mehr der Chef, aber ich werde weiterhin unterrichten.

derStandard.at: Werden Sie Ihren Körper später auch spenden?

Gruber: Ich würde schon, aber für die Kollegen ist es eigenartig jemanden zu sezieren, den sie kennen. Ich selbst habe das einmal gemacht und es war unangenehm. (Marietta Türk, derStandard.at, 20.9.2011)